In memoriam Christian Zeike

Liebe Schulgemeinde!

Am vergangenen Wochenende erreichte uns die traurige Nachricht, dass unser ehemaliger stellvertretender Schulleiter Christian Zeike im Alter von nahezu 93 Jahren verstorben ist.

Zwanzig Jahre lang (von 1974 bis 1994) hat Christian Zeike das Schulleben des Giesenkirchener Gymnasiums entscheidend mitgeprägt.

Vielen Menschen in Giesenkirchen und Odenkirchen (seinem Wohnsitz und seiner ersten Wirkungsstätte) war er ein vertrautes Gesicht.

Ich habe Christian Zeike im September 1974 kennengelernt, an meinem ersten Schultag als Schüler des Gymnasiums Odenkirchen/Zweigstelle Giesenkirchen. Der Odenkirchener Schulleiter, Herr Langen, stellte die Klassenlehrer der beiden ausgelagerten Klassen vor. Und ich kam mir so ein bisschen vor wie Harry Potter unter dem „Sprechenden Hut“ („Ich möchte zu diesem Lehrer da!“). Also sollte dieser eher kleine, rundliche Mann mit Haarkranz, funkelnden Augen und fröhlicher Miene – und mit Anzug ! – mein Klassenlehrer für meine ersten Jahre am Gymnasium sein.

Zweigstelle Giesenkirchen – da war erst einmal Organisationstalent gefragt. Untergebracht waren wir in der ehemaligen Hauptschule, zu der die heutige Grundschule und auch der jetzige C-Trakt des Gymnasiums gehörte. Unsere Lehrer mussten tage- und stundenweise immer zwischen Odenkirchen und Giesenkirchen pendeln. Und ein Lehrerzimmer gab es am Anfang gar nicht. 

Christian Zeike vermochte es, für uns sehr schnell eine Wohlfühlatmosphäre zu schaffen, uns Schülerinnen und Schüler aus verschiedenen Grundschulen in einer Klassengemeinschaft zu integrieren und uns so den Übergang aufs Gymnasium zu erleichtern. Dass Christian Zeike auch der liebevolle Spitzname „Papa Zeike“ zufiel, hatte durchaus seine Berechtigung.

Christian Zeike war ein Lehrer, vor dem wir Respekt hatten, der aber auch eine ordentliche Portion Humor besaß und der stets ein offenes Ohr für uns „Kleine“ hatte.

Besonders gerne erinnere ich mich an etliche Deutschstunden, in denen das Lesen im Vordergrund stand. Im 5. Schuljahr war es „Das rote U“ von Wilhelm Matthiessen, aus dem uns im Unterricht vorgelesen wurde und das wir trotz seiner mehr als 300 Seiten komplett schafften. Das waren schöne und entspannte Unterrichtsstunden… Überhaupt war es Christian Zeike ein besonderes Anliegen, uns die Freude am Lesen zu vermitteln. Zu diesem Zweck richtete er eine Klassenbücherei bei uns ein. Viele Sach- und Abenteuerbücher wurden angeschafft, und in regelmäßigen Abständen gab es zu Beginn der Unterrichtsstunde eine Ausleihe (mit Karteikarten, Ausleih- und Rückgabedatum). Es kostete mich immer all meine Überzeugungskraft, Christian Zeike glaubwürdig zu versichern, dass ich nur deshalb sparsam von der Ausleihe Gebrauch machte, weil zu Hause spannende Karl-May-Bücher auf mich warteten.

In den Stunden, in denen Christian Zeike dann versuchte, uns die deutsche Grammatik beizubringen, wurde es schon etwas kniffliger. Denn 1974 wurde in vielen Familien noch Plattdeutsch gesprochen – und so manchem Schüler bereitete die richtige Anwendung von Dativ und Akkusativ doch arge Probleme. Christian Zeike erwies sich da in meiner Erinnerung als sehr geduldig.

Die unangenehmen Begegnungen mit Christian Zeike hatte ich meist bei der Hausaufgabenkontrolle, die er sehr akribisch wahrnahm und bei der er einen prüfenden Blick auf jedes Heft warf. Sehr häufig waren wir beide hinsichtlich des Umfangs der zu erledigenden Hausaufgabe nämlich unterschiedlicher Meinung. Mir reichten da meist zwei oder drei kleine Sätze als Antwort auf eine Frage (man hat ja schließlich auch als 10-Jähriger noch ein Leben außerhalb der Schule!). Christian Zeikes Kommentar lautete dann wiederholt: Magerstufe! Nun ja.

Besonders beliebt waren bei uns die Deutschstunden nach den Ferien. Christian Zeike liebte es mit seiner Familie zu reisen. In ferne Länder! Und so gab es dann mit Sicherheit nach den Ferien erst einmal einen ausführlichen Reisebericht, bevor es wieder mit dem Unterrichtsstoff losging.

Und auch wenn diese Zeit in vielerlei Hinsicht etwas Beschauliches hatte: Probleme gab es ja damals auch. Für uns vor allem mit einigen Hauptschülern, die es gar nicht so lustig fanden, dass in „ihrem“ Gebäude jetzt auch Gymnasiasten ansässig waren. Christian Zeike musste dann wiederholt vermitteln, schlichten oder uns einfach beschützen.

Nach der 6. Klasse wurden wir neu aufgeteilt und ich bekam einen neuen Klassenlehrer. Christian Zeike übernahm am Franz-Meyers-Gymnasium (das damals noch gar nicht so hieß, es war ja immer noch im Aufbau) die Aufgabe des stellvertretenden Schulleiters.

Was uns weiter verband in den kommenden Jahren, das war der „Zauber des Anfangs“, der gemeinsame Beginn an einem neuen Ort, die Ungewissheit, wie es mit der Schule weitergehen würde, und mit Sicherheit die familiäre Atmosphäre des jeder kennt jeden, die nicht nur für mich das Gymnasium zu einem Ort der Heimat gemacht hat. Die familiäre Atmosphäre hat immer schon den Charme unserer Schule ausgemacht – und Christian Zeike mit seinem humanistisch und christlich geprägten Menschenbild hatte daran ganz großen Anteil.  

Mit Christian Zeike als Lehrer bekam ich es dann wieder in der Oberstufe zu tun, im Fach Geschichte. Er schaffte es, meine Freude am Fach Geschichte nochmals zu steigern und förderte mich auch mit zusätzlichem Lesestoff. Auch dafür vielen lieben Dank! Seit mehr als 25 Jahren darf ich jetzt selbst schon Geschichte unterrichten.

Christian Zeike konnte die Geschichte lebendig werden lassen, weil er immer wieder sehr persönlich erzählte von den Jahren der Diktatur und schließlich der Zeit der Flucht und Vertreibung, die er als gebürtiger Schlesier in jungen Jahren am eigenen Leib erlitt.

1983 habe ich dann Abitur gemacht, und unsere Begegnungen wurden naturgemäß etwas seltener. Immer aber, wenn wir uns dann über den Weg liefen, war Christian Zeike aufrichtig interessiert an dem, was ich gerade so machte, wie es meinen Eltern und Geschwistern ging. Und so ging es nicht nur mir, sondern vielen Menschen, ehemaligen Schülerinnen und Schülern, Kolleginnen und Kollegen, die mit Christian Zeike zusammentrafen. Begegnungen, die von Interesse und von Herzlichkeit getragen waren.

1994 ist Christian Zeike dann pensioniert worden. Auch nach seinem beruflichen Ausscheiden hat er oftmals das Franz-Meyers-Gymnasium besucht. Besonders gerne kam er zu Kollegiumsabenden und Lehrerausflügen, solange dies seine Gesundheit zuließ. Zuletzt haben wir uns im November 2018 gesehen, als meine Jahrgangsstufe 35-jähriges Abiturjubiläum feierte und Christian Zeike mit nahezu 88 Jahren der älteste Gast war, körperlich etwas eingeschränkter, aber geistig fit. Und egal wann und wo ich in den vergangenen Jahren mit ehemaligen Schulfreundinnen und Schulfreunden zusammengesessen habe. Immer wieder wurde gefragt: Wie geht es Christian Zeike?  

Jetzt hat uns dieser besondere Mensch und Lehrer verlassen. Lieber Christian Zeike, ich wünsche Ihnen, dass Sie da, wo Sie jetzt sind, weiter viele anregende Gespräche führen können – und ich bin zuversichtlich, dass wir uns irgendwann wiedersehen und Sie dann vielleicht wieder mit den Worten auf mich zukommen: Herr Warner, schön Sie zu sehen. Wie geht´s?

 

Achim Warner